Am 27. Juni liest Autorin Olivia El Sayed im reformierten Kirchgemeindehaus aus ihren Werken «Flowery wordis» und «Scheidungskinderclub». Pfarrerin Sibylle Forrer hat ihr dazu ein paar Fragen gestellt.
In deinem ersten Buch «Flowery wordis» sammelst Du kleine und grosse Gedanken über das Leben und verwandelst sie in wunderbar poetische Texte. Was bedeutet dir Sprache?
Für mich ist sie ein Ort, an dem ich mich zuhause fühle. Wenn ich lesen oder schreiben kann, bin ich glücklich. Mich fasziniert ausserdem die Tatsache, wie viel Sprache über das Denken anderer verrät. Die Sätze Der Bus fährt ohne mich los und Ich habe den Bus verpasst beschreiben denselben Sachverhalt. Je nachdem, welche Aussage ich mache, verrate ich, vielleicht ohne es zu merken, bei wem ich in dieser Situation die Schuld suche.
In der NZZ am Sonntag hast du wöchentlich die Geschichte deiner Eltern erzählt, woraus dein zweites Buch «Scheidungskinderclub» entstanden ist. Wie definierst du das Verhältnis von Herkunft und Identität?
Ohne meine Eltern und der Heimat, die sie mir waren, wäre ich sicher eine Andere. Aber ich glaube nicht, dass die Identität eines Menschen an einem gewissen Punkt fertig definiert ist. Es kann zu jeder Zeit im Leben etwas Einschneidendes passieren, das uns grundlegend verändert. Natürlich prägt uns der Ort, wo wir herkommen, aber nichts und niemand definiert jemanden zwangsläufig und auf Lebzeit. Es ist immer auch die Dynamik zwischen zwei Menschen, die eine Rolle für die eigene Identität spielt. Mit manchen Menschen bin ich laut und ungezwungen, mit anderen bin ich zurückhaltend und introvertiert. So gesehen prägen die Identitäten der Leute, mit denen wir uns umgeben, immer auch unsere eigene.
Warum brauchen wir Geschichten?
Von keiner einzigen Geschichte gibt es nur eine Version. Wir alle nehmen die Welt mit unseren eigenen Augen wahr und so entstehen unsere persönlichen Sichtweisen. Je mehr wir diese miteinander teilen, umso facettenreicher und vielfältiger wird auch unser Blick auf die Welt.
Interview: Sibylle Forrer
Lesung, Di, 27. Juni 2023, 19.00 Uhr, ref. KGH
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