1. Reformierte Kirchgemeinde Kilchberg
  2. |
  3. Vergangenes
  4. |
  5. Interview – Endlich! «Ehe...

Interview – Endlich! «Ehe für alle» auch in unserer Kirchgemeinde!

Darüber spricht Pfarrer Beat Gossauer mit der Aktivistin und Influencerin Anna Rosenwasser im Gottesdienst «Über Gott und die Welt» am 22. Mai. Sie hat sich aktiv im Abstimmungskampf für die «Ehe für alle» engagiert. Bereits jetzt stellt sie sich ein paar Fragen. Hier ihre eindrücklichen Antworten.


Anna Rosenwasser, wie viele gleichgeschlechtliche Paare kennen Sie, die heiraten möchten?

Gleichgeschlechtlich liebende Menschen, die heiraten möchten, begegnen mir überall. Sie stellen mir Fragen zur Ehe für alle morgens um zwei im Club. Sie zeigen mir strahlend ihre Verlobungsringe nachmittags im Café. Und sie schicken mir – und das ist neu – Einladungen zu ihrer Hochzeit. Die Gründe sind vielfältig: Für manche ist es Formsache, zum Beispiel eine Absicherung für eine stabile Familienplanung. Für andere ist es der romantische Lebenstraum. Also genau wie bei Mann-Frau-Paaren: Heiraten bedeutet für jedes Paar etwas Anderes.

Wie sieht es mit dem Wunsch nach kirchlicher Trauung aus?

Schwule, lesbische und bisexuelle Menschen nehmen bewusst wahr, wo die Kirche offener und moderner wird. Ich kenne nicht viele Menschen, die sich gleichgeschlechtlich trauen lassen wollen in der Kirche – aber ich kenne zahlreiche Menschen, die sich aktiv freuen, wenn eine Kirchgemeinde die Entscheidung trifft, alle zu trauen!

 
Sie sind bekannt für Ihren Einsatz für die LGBT-Community. Inwieweit hat sich Ihr gesellschaftspolitischen Engagement nach der Annahme der Vorlage «Ehe für alle» verändert?

Ganz ehrlich: Es tut gut, auch mal wieder über etwas Anderes als das Heiraten zu reden. Ich habe wieder mehr Raum, um mich für LGBT-Jugendliche einzusetzen. Um Anliegen von Trans-Menschen zu thematisieren. Und um vielfältigere Bildung zu fordern. Die Ehe für alle ist ein wichtiges Anliegen, aber sie ist noch nicht das Ende des Regenbogens.


Wie haben Sie gläubige Menschen während des Abstimmungskampfes «Ehe für alle» erlebt?

Die Ehe für alle – und davor übrigens auch die Abstimmung zum Diskriminierungsschutz anfangs 2020 – hat mir gezeigt, wie viele christliche Verbündete wir haben. Und wie viele christliche Menschen auch selbst schwul, lesbisch oder bisexuell sind. Das unterschätzt man gern! Von gläubigen Menschen hat unsere Community wunderbaren Rückhalt erfahren. Natürlich nicht nur. Aber mehr, als sich das die meisten vorstellen.


In grösseren Städten scheint es heute einfacher, als lesbisch-/schwules Paar zu leben. Wie ist die Situation in Dorfgemeinschaften und Kleinstädten?

Um das klarzustellen: Auch in grossen Städten sich gleichgeschlechtlich Liebende nicht so sicher, wie wir uns das gerne vorstellen. Ich kann nicht gefahrenlos die Hand meiner Partnerin halten, wenn wir spazieren gehen. Die Gewaltstatistiken zeigen das übrigens auch: Homofeindliche Angriffe passieren auch in Städten. Es ist ja nicht so, dass es prozentual viel weniger lesbische, schwule und bisexuelle Menschen gäbe auf dem Land; sie sind einfach unsichtbarer. Ungeoutet, der eigenen Sicherheit wegen. In der Stadt stehen uns mehr Anlässe, Treffs und Gemeinschaften zur Verfügung, um uns sicherer zu fühlen und Verbündete zu finden.

Können Sie uns etwas zu Ihrer religiösen Biografie sagen?

Das ist ein schöner Ausdruck, religiöse Biografie. Meine Eltern sind beide in recht säkularen Teilen ihrer jeweiligen Religion aufgewachsen: Mein Vater als jüdischer Israeli, meine Mutter als reformiert christliche Schweizerin. In meinen Kindheitserinnerungen werden Chanukah-Kerzen angezündet, Ostern gefeiert, Challah am Freitagabend gegessen und Weihnachtslieder gesungen. All das liegt mir auch heute noch am Herzen. Und über meinem Herzen, um meinen Hals, trage ich einen Davidstern seit ich acht Jahre alt bin. Ich würde mich als Atheistin mit jüdischen Wurzeln bezeichnen.

Welches Verhältnis besteht zwischen Kirche und Genderthematik?

Eines mit viel Potenzial. Feministische Theologie gibt es ja schon seit den 1960er-Jahren, und das ist eine wichtige Arbeit, die geleistet wird: Die Kirche öffnen gegenüber der Vielfalt von Menschen.

Wo möchten Sie sich in Zukunft verstärkt engagieren?

Unsere Welt kann an den meisten Stellen noch mehr Gleichberechtigung vertragen. Denn so was wie zu viel Gleichberechtigung gibt es meiner Ansicht nicht. Ich setze mich weiterhin dort ein, wo es mir nicht nur Energie nimmt, sondern auch zurückgibt. Momentan ist das die LGBT-Community, weil diese Gemeinschaft auf eine lebensbejahende Weise für Sichtbarkeit und Gerechtigkeit kämpft. Und auch einfach aus wunderbar reflektierten und lieben Menschen besteht, die nicht nur meine politisch Verbündeten sind, sondern auch Menschen, die ich liebe.

Interview: Robin Ziltener


Zum Thema

Pfarrer Beat Gossauer unterhält sich mit LGBT-Aktivistin und Kolumnistin Anna Rosenwasser. Schweizweit und international bekannt wurde sie durch ihren Einsatz für die politischen Vorlagen über den Diskriminierungsschutz für Lesben und Schwule (2020) und die Öffnung der Zivilehe für gleichgeschlechtliche Paare (2021). Rosenwasser ist in Schaffhausen aufgewachsen, hat Journalismus, Politologie und Geschichte studiert. Seit 2008 arbeitet sie als freischaffende Journalistin und Kolumnistin. Von 2017 bis 2021 war sie Co-Geschäftsführerin der Lesbenorganisation Schweiz (LOS).

Abendgottesdienst «Über Gott und die Welt», Sonntag, 22. Mai 2022, 18.00 Uhr, ref. Kirche

Auch als Livestream hier

Zurück

Hinterlassen Sie einen Kommentar